ELSBETH BÖNIGER: ‹Aufgebrochene Sedimente›

Die Beschäftigung mit der Schönheit und dem sinnlich Reizvollen bildet immer wieder Ausgangspunkt zu Elsbeth Bönigers Arbeiten. Vieles ist verschlungen wie ein Labyrinth. Malerei, Plastik in Verbindung mit Malerei, Rauminstallationen – alles kommt gleich berechtigt nebeneinander vor. Böniger denkt, wandert mit den Gedanken durch Raum und Zeit, bleibt an Epochen der Kunstgeschichte hängen, sprengt aber sämtliche Fesseln und begibt sich ins Heute, ins Jetzt. Sie ist eine leidenschaftliche Sammlerin und trägt unterschiedlichste Materialien zusammen, aus denen sie ihre Inspiration, ihre Ideen schöpft. Das Werk ist gekennzeichnet durch ein stetes Wachstum; Arbeiten generieren neue, bilden Keimblätter fürs Weiterkommen – Ansatzpunkte und Verweissysteme. Ihr Atelier ist Schmelztiegel, ständig brodelndes Gemisch: Alte afrikanische Speere stehen gelassen neben neusten Entwicklungen der Kunststoffindustrie; Arbeitsbücher zeugen skizzengleich vom ständigen Prozess, daneben liegen herausgerissene Zeitschriftenseiten, Steinchen, Papierschnitzel, Textfragmente, Erinnerungen – das Sammelsurium, aus dem ihre Werke wachsen.

Einer Alchimistin gleich mischt sie Lacke und Farben zusammen oder kreiert neue, geheimnisvolle Oberflächen. Chemisch-physikalische Spielereien generieren Strukturen, reagieren und agieren unter Bönigers Zauberstäben, den unzähligen Pinseln, Spachteln, Stäbchen und Messern. Pigmentmischungen werden auf Farbträgern zu Kriegsbemalungen, zu Huldigungen unfassbarer Gefühle, zum Barometer für Stimmungen und Launen. Die neusten Arbeiten wagen den Spagat zwischen “Readymade“ und “Design“, sind überhöhte, auratische Hochglanzobjekte oder aber vermeintlich versteinerte, dem Leben entrückte Gebilde. Diese Dualität zeigt sich auch ständig in ihren aneinander gereihten Tafel- oder Wabenbildern. Die “autonomen“ Arbeiten verschiedenen Formats werden oft installativ zusammengefügt; im ersten Moment zufällig – bei genauerem Hinsehen vollständig durchkomponiert.

Besonders die Oberflächen nehmen in Bönigers Werk eine zentrale Stellung ein. Stets bewirken sie ein Staunen. So faszinieren die die Umgebung reflektierenden Spiegeloberflächen oder die undefinierbare Konsistenz vielfach aufgetragener Schichten. Die Werke pendeln zwischen absoluter, geplanter Perfektion und zufälligen Resultaten ausgedehnter Forschungen. Allen Arbeiten ist eine stark haptische Komponente gemein. Man möchte berühren, betasten. Die Strukturen drängen sich durch das gewählte Material auf, wie Netze, Unebenheiten, Lacke, Gummi oder Beton, und werden verwoben zu einer Gesamtheit aus Format und Technik. Die Künstlerin ist eine Tüftlerin, baut gedankliche und reale Räume und setzt als Architektin Fragmente zu künstlerischen Gesamtkonstrukten zusammen.

Erstmals zeigt sie eine neue, plastische Werkgruppe: Objekte komplett mit Blei ummantelt. Wie eine zweite Haut schmiegt sich die Bleischicht auf bestehende Gegenstände: Krüge, Masken, Geweihe, Surf- und Rollbretter. Die Gegenstände werden damit “unbrauchbar“ erlangen aber gleichzeitig eine Überhöhung ihrer Präsenz. Entstanden sind untaugliche Objekte mit wunderbarer Ausstrahlung.

Bernhard Bischoff, Dezember 2010