Kotscha Reist: ‹Painting Life›

Die letzte Ausstellung in der Galerie hiess “Painting for Life“ und thematisierte bereits im zweideutigen Titel das Leben als Maler im Kunstumfeld/Kunstmarkt. Nun hat sich der Titel um ein Wort reduziert – das Leben steht im Mittelpunkt: Bilder aus dem Leben und Bilder übers Leben. Es sind neue Arbeiten aus den letzten zwei Jahren zu sehen. Sie sind reifer geworden, klarer und mit zum Teil vermeintlich unfertigen Pinselstrichen auch näher am flüchtigen Moment der Motivfindung. Die Lasurnebel, die die Werke früher oft fein überzogen, haben sich gelüftet – BetrachterInnen sind direkter mit dem Geschehen konfrontiert, ein Entziehen des Blicks ist nicht mehr möglich. Die Arbeiten wirken freier, Farbfläche wird an Farbfläche gesetzt – harte Realitäten neben Sinnlichkeit.

Bei Kotscha Reists Bildern liegen Fotovorlagen zu Grunde, die er frei interpretierend und manchmal auch variierend auf den Bildträger überträgt. Meist stammen die Referenzen aus Zeitungen und Zeitschriften; oft verwendet er aber auch eigene oder gefundene Fotografien. Mal schemenhaft zurückhaltend, Mal kraftvoll inszeniert, breitet sich vor den BetrachterInnen ein Kosmos von Aktualität und Historie aus. Landschaften und Interieurs stehen gleichberechtigt neben figurativen Arbeiten. Die Motive sind vielfältig: Immer wieder finden sich jedoch Aststrukturen, Menschen mit kuriosen Haltungen, Fenstersituationen oder Tiere – und oft auch mehrere Versionen des gleichen Sujets. Mittels Vergrösserung oder Verkleinerung werden die Vorlagen verfremdet; dazu blendet er Details aus oder rückt sie unvermittelt ins Zentrum. Stets jedoch setzt er seinen Schwerpunkt aufs vermeintlich Banale und entrückt damit dessen Bezug zur Wirklichkeit. Auf der einen Seite können die Bilder eine Sicht in einen Mikrokosmos bedeuten, auf der anderen eine fast makrokosmotische Darstellung der Welt. Auf jeden Fall sind sie aus der Zeitachse heraus gerissene Momentaufnahmen, zum Teil völlig entkontextualisiert und in eine neue Welt gesetzt – irritierende Erinnerungsfragmente eines kollektiven Gedächtnisses. Die offene Struktur lässt Raum für Geschichte und vor allem für Geschichten. Banalitäten verschwimmen im Raum der Zeit und drängen sich doch unmittelbar und zum Teil ohne, dass man möchte, ins Bewusstsein der BetrachterInnen.

Bernhard Bischoff, 2009/2011