‹Die Tür ist angelehnt› Raffaella Chiara

20.8.–26.9.09

Raffaella Chiara nutzt in ihren Zeichnungen ein ausgedehntes Repertoire an Motiven, das im weiten Raum der Kunst ständig zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion oszilliert. Manchmal wirken die Gebilde klar konstruiert, dann wiederum erscheinen sie amorph oder gar organisch gewachsen. Mal ist der Bleistiftstrich fein und klar, Mal dick und ausgefranst. Die Künstlerin versteht es, den Zeichnungen mittels speziellen Strichs Individualität einzuhauchen – und dies auch dann, wenn die Arbeiten in zum Teil grösseren Serien entstanden sind. Meist entwickelt sie die Blätter mit vektorartigen Linien, deren Raster sich manchmal auch stark verdichten, ja beinahe ins ‹Wolkig-Skulpturale› kippen können. Neu wachsen die Motive auch aus collagierten Farbabbildungen heraus und werden so zu einer Art spannenden Fortführung einer kurz angedachten Episode aus einer Zeitschrift oder einem Buch.

Räumlichkeit ist wohl wichtigstes Thema bei allen Arbeiten der Künstlerin. Verschiedene Architektursysteme werden auf den Blättern mit organischen oder mineralischen Strukturen vermengt und erinnern, obwohl ohne Computer geschaffen,

stark an CAD-Generierte Architekturstudien oder an dreidimensionale Kartenmodelle. Beim zweiten Blick offenbaren sich die Bruchstellen zur bekannten Naturkunde: Berge oder Monumente stehen auf Tischen und Sockeln, Wälder wachsen in Höhlen, Inseln schweben frei im Raum. Zwar erinnern die Titel oder gewisse Strukturen an ‹Zivilisation›; doch die Menschen bleiben ausgeblendet. Die oftmals surrealen Kompositionen sind gespickt mit versteckten Inhalten. Immer wieder schafft es die Künstlerin, zu verblüffen, indem sie mit wenigen Strichen ein ganzes Universum erfindet. Es gelingt ihr, mit Bleistift- und Farbstiftstrichen oder einer feinen Kolorierung wunderbare Gedankenwelten zu visualisieren. Chiara ist eine Geschichtenerzählerin, getrieben vom Drang, neue Bezüge herzustellen und mittels dieser Neukontextuierungen aktiv in den Zeichnungsdiskurs der letzten Jahre einzugreifen.

Der Titel der Ausstellung, ‹Die Tür ist angelehnt›, erinnert an die Transitionssituation einer Türe: Da gibt es auf der einen Seite das Innen, dann die Türe selbst, andererseits das Aussen. Je nach Betrachtungsstandort möchte man auf die andere Seite sehen können, die Türe wird quasi metaphorisch zum Auge; aber auch zum Spiegel. Raffaella Chiaras Türe ist bloss angelehnt – sie öffnen und hindurchblicken muss man selber.

Bernhard Bischoff, Mai 2009