Elsbeth Böniger / Christian Indermühle

Weite Farbräume öffnen sich hinter schlingernden Linien- und Formgeflechten in den neusten Bildern von Elsbeth Böniger. Verwunschenen Landschaften gleich oder, worauf die Titel hindeuten: «Eisdecken» oder «Schloten im Meer». Dann abstrakter: ein Teppich mit Anlagechips, wobei hier komplementäres Grün auf Rot tritt, flimmernd, irisierend, “wuchernd” wie andernorts vielleicht Geldflüsse. Auf Tiefgründiges mögen weiter die in gleissendes Licht getauchten Farben auf den Bildern «Die geheime Matrix» anspielen. Sie leuchten aus dem Hintergrund durch ein Dickicht von Farbaufträgen, die mal pflanzlich, mal wesenhaft erscheinen. Beim Bild «Nicht ganz dicht» werden wir hingegen in eine dichte oder eben “nicht ganz dichte” Pflanzung versetzt, in ein Waldinneres vielleicht. Das Leck, der Mangel im Sinne des nicht immer Lenkbaren ist auch beim Zusammenwirken des Farbauftrags mit dem Malgrund – der Öl- und Acrylfarben mit den Aluplatten – von eminenter Bedeutung: durch die unterschiedlichen Mal- und Trockungsprozesse, durch die Formungen und Verformungen beim Zutun der Künstlerin sowie unter Einfluss verschiedener chemischer Prozesse.
Die Farbaufträge zeugen von einer besonderen Physis, einer Körperlichkeit, die häufig expressiv, aber auch mal zart, mal flächig, mal linear zum Ausdruck kommt. Durch deren Vielschichtigkeit und Dichte mögen sich schliesslich die Künstlerin wie auch wir uns immer wieder eigene, neue Wege bahnen.

Elsbeth Böniger sammelt leidenschaftlich Materialien sowie Eindrücke und schöpft daraus ihre Inspiration und Bildideen. Phänomene von Oberflächen wie das Reflektieren eines Spiegels oder ein buchstäblich kaum durschaubarer, mehrschichtiger Farbauftrag faszinieren sie gleichermassen. Beim Schaffensprozess treten Planung und Perfektion neben den Zufall, der wiederum gelenkt sein kann durch die Erfahrung im Umgang mit dem Material. Insofern haftet der Malerei von Elsbeth Böniger etwas Alchemistisches an, das bisweilen wie beim Erahnen hinter geschlossenen Augen in Erscheinung tritt.

Der «Central Park» oder das «Flat Iron»-Gebäude in New York, der «Grosse St. Bernhard» oder schlicht «Reisen» und das «Atelier» zeugen von Orten, von Motiven aus der Nähe und der Ferne, die Christian Indermühle für seine Fotografie inspirieren. So sehr seine Aufnahmen von unterwegs oder seine arrangierten Bilder nicht einfach alltäglich sind. Wie entrückt ragt etwa das ikonische New Yorker Hochhaus hinter einem scheinbar dichten Wald empor. Natur, wenn auch domestizierte, trifft auf eine Ikone der Baukultur aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Dank des eher selten gewählten Standpunkts im angrenzenden Madison Square Park mit Baumbestand.

Christian Indermühle interessiert sich seit jeher für Architekturaufnahmen in der Landschaft und gelangt so zu Bildern von bestechender Eigenheit und Schönheit. Durch den Fokus auf bestimmte Licht-Schatten-Ver-hältnisse wirkt die Tektonik der Landschaft wie modelliert, ja skulptural. So erscheint etwa das Massiv des Grossen St. Bernhard stellenweise wie eine weiche Decke. Nicht selten werden die Orte zu subtil dramatischen Schauplätzen, so auch der Central Park mit den Menschengruppen im Schatten der Bäume. Sie mögen an Michelangelo Antonionis Film «Blow Up» oder an Edouard Manets berühmtes Gemälde «Frühstück im Grünen» (1863) erinnern, die je mit weiteren Kunstwerken in Bezug stehen. Die Bilder von Christian Indermühle sind eine Art Archetypen, zeitlose Dokumente der Welt. Sie künden aber auch von deren steten Lauf, von einem Werden und Vergehen. Prozesse, wie sie etwa auf dem Bild «Atelier» zum Ausdruck kommen, mit einer Malerei seiner Partnerin Elsbeth Böniger, die noch im Entstehen ist.

Marc Munter (2024)