Filip Haag ‹Zwischen Wurf und Widerstand›
13.1.2023 – 25.2.2023
Filip Haag hat über Jahre Wege erforscht, in denen Werke sich quasi selber erschaffen können (fotochemische Prozesse, Tusche-in-Sprit- Malerei, Heisser-Wachs-zu-Bronze-Plastiken). Und er hat, umgekehrt, das lange und sehr langsame Wachsen von Formen aus kurzen Strichen in vorgestellte Welten nicht so sehr zelebriert, vielmehr mit dem Bleistift ausgesessen.
Seit 2020 findet ein Wandel statt: hin zu Prozessen persönlichen Ausdrucks.
Und er malt seit einem Jahr – weiterer Schritt im Wandel – mit den Fingern. Fingermalerei steigert die Nähe des Autors zum Werk und die Ausdrucksintensität – kein Farbreservoir sorgt für einen langen und gelassenen Strich. Malen mit den Fingern lädt die Bilder auf – wie auch den Künstler selber. „Mit Fingern malend, bringe ich mich ein und komme zugleich weg. Im Werk sichtbar werden und verschwinden, das gefällt mir!“
Filip Haag betritt Neuland. Zugleich ist er zurück bei seinen Wurzeln. Er nähert sich wieder der Figur, Gesichtern (die aber nicht zu fassen sind, nur zu ahnen, die nicht „Porträt“, nicht „Abbild“ sind, nicht Mensch, nicht Tier. Die Wesen haben zwei Gesichter – und zugleich keins. Wie Janus, der in zwei Richtungen schaut und Gegensätze verbindet. Der sich in jede Richtung aufmacht.) Wo Form vage ist, da setzt sie Vorstellung in Gang.
Haags Bilder werden nur in Ahnungen gemalt, nie unter dem Einfluss fassbarer Vorgaben. Daher und mit goldfarbigem Metallpigment wird ihnen ein sonderbarer Schimmer eingeschrieben, der ihre Fassbarkeit weiter entzieht.
Das Können ist ihm kein Anliegen. Das Erkennen schon. Bevor er sich an grosse Formate macht, wendet er sich mit Pinseln und mit Fingern an einen Stapel eher kleiner Papiere. Intuitiv und ohne inhaltliche Absichten appliziert er Gouache- oder (neu) Acrylfarbe, über Tage, Wochen, Monate, immer neu, bis der Moment kommt, wo alles, was bisher geschah, passt und Werk geworden ist. In einem engagierten (und physisch anstrengenden) Akt macht er sich dann mit Acryl oder mit Öl an den vor ihm auf dem Boden liegenden aufgespannten Stoff. Schon das Grundieren (meist in Schwarz und noch mit Pinsel) ist ein Suchen nach Gestalt. Mit jeder Farbe wandelt sich das Bild. Er hängt das Bild an die Wand, sobald es nicht mehr fliesst und tropft. Nun kann es den nötigen Abstand bieten für eine (kritische) Distanz. Im besten Fall ist das fertige Bild geschafft. In allen anderen Fällen kommt es (nach Tagen, Wochen, Jahren) in einem neuen Anlauf wieder dran. Filip Haag arbeitet an vielen Bildern parallel; unvollendet stehen sie gestapelt, bis es in einem neuerlichen Anlauf – mit Absicht ohne Absicht – weiter geht.
Bilder wachsen mal unendlich langsam (wie ein Kristall) und umgekehrt mal aus dem Knall. Mal im Nörgeln, mal im Rausch. Sie können in Sekunden glücken, andere sich jahrelang wehren. Wie es der Ausstellungstitel sagt. „In der Kürze liegt die Würze und in der (Aus)dauer die Power.“ (Filip Haag) Das radikale Übermalen (auch von alten Bildern) kann ihn dann in ganz andere Richtungen verschlagen. Und alle die Richtungen sollen so verschieden sein, wie es nur eben geht.
Zugleich bildet die Wurf-und-Widerstand-Wendung aber auch die Gegensätze ab, denen wir in unserer Gegenwart unterliegen: „Wille versus Waffe, Wunsch versus Wirklichkeit, Web versus Wahrheit, Wandel versus Wucher, Wachen versus Weichen, Gewalt versus Gestalt.“ (Filip Haag)
Weil die Bilder so manche Übermalung (üb)erlebten, manche Wende, erscheint zur Ausstellung das Büchlein WIEDER SCHEITERN – BESSER SCHEITERN, edition Haus am Gern (nach Samuel Becketts „Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“). Zu 18 ausgewählten Bildern werden – in einem Making-Of – übermalte Versionen wieder sichtbar.
Filip Haag thematisierte immer schon das Wahrnehmen und Phänomene der Sichtbarkeit. Das Büchlein vertieft das Thema. Und Balts Nill schreibt darin über Filip Haag‘s Formen der Kreativität und wirft etwa die Frage auf (ohne sie zu beantworten), wann ein Bild eigentlich fertig gemalt sei.