Laurent Schmid: ‹Rope Tricks›

Von Anfang an operierte Laurent Schmid an den diversen Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaft. Sein Werk irritiert durch ein ständiges, parawissenschaftliches Kokettieren und erlaubt mehrdeutige Aussagen. “Wahrheit“ mutiert zur Projektion von Wünschen oder Erwartungen und kann vielschichtig ausgelegt werden. In diesem Spannungsfeld durchleuchtet er den Fundus von Geschichte nach interessanten Geschichten und flicht etwa absurde Verschwörungstheorien zu neuen Erzählsträngen oder mischt hinterhältig Wahrheiten mit Lügen. Im Zentrum steht sein grundsätzliches Misstrauen dem Bild gegenüber.

Die ausgestellten “Knotholes“ nehmen Fotografien des amerikanischen Wissenschaftlers Harold E. Edgerton auf, die dieser von Atombombentests in Nevada gemacht hat. Die Bilder wurden in den 1950er Jahren für Propagandazwecke eingesetzt, um die Atommacht der USA zu glorifizieren. Die Fotografien wurden jedoch damals absichtlich so bearbeitet, dass der militärische Gegner betreffend Sprengwirkung getäuscht werden sollte. Laurent Schmid schuf nun neue Formen und somit klar deklarierte Fälschungen – und setzt damit den bekannten Diskurs zum Wahrheitsgehalt von Bildern weiter fort. In den Videoarbeiten “Flying Knotholes“ mutieren die Formen zu pulsierenden Objekten, pendelnd zwischen mikroorganischen Strukturen und Science-Fiction-Ästhetik.

Mit einem drastischen Virtualitätstransfer sprengt er vermeintliche Wahrheitssysteme, vordergründig vermittelte Klarheit zerbröckelt im Strudel aufgestellter Strategien und Methoden. Ihn interessiert die differenzierte Wahrnehmung von “Realität“ und das Spiel mit vertrauten und doch in einen neuen Kontext gestellten Wahrnehmungsweisen. Er infiltriert, hintergeht, vermischt und verunsichert. Dabei fordert er die Rezeptionsgewohnheiten immer neu heraus. Etwa dann, wenn er Atommodelle aus den 1930er Jahren einfärbt und diese, stark vergrössert, zu Neopopart werden lässt. Eine Hommage an Edgerton ist auch das Doppelobjekt “Pathetisches Grapschen“. Auf nach Fotodokumenten nachgebauten Sockeln, auf denen Edgerton seine Experimente ausführte, platziert Laurent Schmid komisch verdrahtete Discokugeln, die entfernt an Modelle der ersten Atombomben erinnern. Er ironisiert den Zeitenlauf und katapultiert die Trashskulptur von den Aufbruchjahren der Atomtechnik über die pazifistischen 1970er und 1980er Jahre in die Zukunft hinaus.

Seine witzigen Papierarbeiten versteht er, obwohl eigenständige Werke, als Skizzen seiner Ideen, die er kombiniert, klischiert und persifliert. Er ist ein Meister im Umgang mit verschiedenen Medien und nutzt virtuos das ganze Repertoire der zeitgenössischen Kunst. Eine Ausstellung mit viel Tiefgang, voller Hintertüren und Fallstricke.

Bernhard Bischoff, Oktober 2010