Nachlass Otto Tschumi

Otto Tschumi (1904–1985), in Bern geboren, wächst in einfachen Verhältnissen auf. Seine Kindheit verläuft glücklos. Nach Abschluss der Primarschule versucht Otto Tschumi in unterschiedlichen Berufen Fuss zu fassen, unter anderem als Heizungstechniker, Architekt, Chemigraf und Lithograf. Einige Zeit verdient er seinen Lebensunterhalt als Grafiker. Zwischen 1921 und 1925 besucht er Kurse an der Gewerbeschule. Er selbst bezeichnet sich als Autodidakt.??Ab 1936 lebt Tschumi mit seiner Frau, der englischen Tänzerin Beatrice Gutekunst, in Paris. Kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen 1940 kehrt das Paar in die Schweiz nach Köniz zurück. In Paris pflegt Tschumi Kontakt zu Max Ernst und anderen Surrealisten, zu Jean Arp und Alberto Giacometti. 1937 zeigt die Galerie von Jeanne Bucher eine erste Einzelausstellung Tschumis. 1942 erscheint die Ausgabe von Herman Melvilles Moby Dick mit Illustrationen von Otto Tschumi. 1960 vertritt er gemeinsam mit dem Maler Varlin und dem Bildhauer Robert Müller die Schweiz an der XXX Biennale in Venedig. Otto Tschumi ist der bekannteste Schweizer Künstler des Surrealismus.

Seine Werke sind durch überraschende Kombinationen unterschiedlicher Gestaltungsmerkmale geprägt. Geometrisch strenge Linienkonstrukte finden sich neben amorphen Formen, einer flächig reduzierten Formensprache bedient er sich ebenso virtuos wie detailreicher Darstellungsweisen. Gemeinsamkeiten sind der Wunsch nach Verfremdung und die spielerische Leichtigkeit des Ausdrucks. Der junge Tschumi entwickelte, seinen Vorbildern Paul Klee und Picasso folgend, eine kubistische Formensprache. Zentrales Thema dieser Arbeiten ist der menschliche Körper, den er in Lithografien und Zeichnungen bis zur Unkenntlichkeit deformiert. Bei den Surrealisten in Paris findet Tschumi mit seiner Vorliebe für das Phantastische zahlreiche Anregungen. Auch die im Manifest?des Surrealismus geforderte geistige Unabhängigkeit kommt Tschumis künstlerischer Eigenständigkeit sehr entgegen. Doch sich den Surrealisten anschliessen, mag er nicht.

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz entstehen die ersten Selbstporträts; ein Motiv, das Tschumi in den kommenden Jahren häufig gestaltet. Dabei geht es Tschumi weniger um den Wiedererkennungswert, als mehr um ein Spiel mit wiederkehrenden Motiven und variierenden künstlerischen Techniken. Neben zahlreichen Tieren finden sich oft auch Schiffe oder besser Schiffswracks auf den Bildern Otto Tschumis. Möglicherweise wurde Tschumi durch die gründliche Lektüre von Melvilles “Moby Dick“ zu den Schiffsmotiven angeregt.??

Text: ART-Nachlassstiftung, 2013