Sibel Kocakaya ‹Chroma of Duality›
16.8. – 21.9.2024
Bei den aktuellen Werken von Sibel Kocakaya (*1986 in Istanbul, lebt und arbeitet in Bern und Basel) kommt Farbe auf. Davon kündet ebenso der Ausstellungstitel ‹Chroma of Duality›, wobei eine Dualität zwischen Realität und Fiktion mit im Spiel ist. Seit 2022, als die Künstlerin im Walzwerk in Basel als Artist in Residence arbeitete, ist die Farbe essenzieller Bestandteil ihrer Malerei und Fotografie sowie ihrer Objekte und Installationen. Dazu verhilft ihr ein Kunstgriff: ein Alter Ego, eine Figur, die sie selbst erfunden hat. «Izabelle Reusser», so ihr Name, führt gar einen eigenen Instagram-Account und hat einen besonderen Sinn für Farbe, wozu sie auch die Künstlerin ermutigt. So tauchen Farben von dunkel bis hell, von schimmernd bis leuchtend und bei manchen Werken in unterschiedlichen Facetten auf. Die Künstlerin erkundet deren unterschiedliche Beschaffenheit und Wirkung auf unsere Wahrnehmung, je nach Lichteinfall, je nach Raum und Oberfläche.
Vor diesem Hintergrund freut sich die Galerie Bernhard Bischoff & Partner besonders über die weitere Zusammenarbeit mit Sibel Kocakaya. Sind ihre Farberkundungen doch ebenso spielerisch und belebend wie reflektiert und stimmig umgesetzt.
Auf ihre Motive stösst die Künstlerin in ihrer unmittelbar erlebten Umgebung, wo sie diese fotografiert und danach im Atelier weiterbearbeitet. Es sind Eindrücke von unterwegs, von Spaziergängen und Reisen sowie ihren Lebensstationen: von Istanbul, Paris, Lyon, Zürich und Bern. Im Fokus steht die Architektur, von der Antike bis in die Gegenwart und Zukunft; ihre Strukturen und Räume, die auf den Bildern der Künstlerin gleichsam zu Bühnen werden.
Bei den Serien «Fluid Structures», «Claros» oder «Overhang» (je 2023) sind es zunächst Szenerien in Schwarzweiss: Fotografien des Jugendstil-Gebäudes Casasayas in Palma (Mallorca) von 1910; weiter eine antike Kultstätte und ein felsiges Meeresufer. Die Farbe kommt durch die lasierende Übermalung mit Acryltinte. Mal wirken die Flächen, Spritzer und Tropfen wie ein spontaner Einfall, mal wie ein lange gehegter Gedanke; mal kräftig, mal wie hingehaucht. Stets verändern und erweitern sie die Bildräume und unsere Wahrnehmung, mehrschichtig komplex und doch fein durchscheinend.
In der Reihe «Path» (2023) besann sich Sibel Kocakaya auf die Wände als Raumbegrenzung, die uns gleichzeitig Wege eröffnen, nach innen wie aus dem Raum hinaus. Die fluoreszierend farbigen Konturen mögen dies verdeutlichen und verleihen den Winkeln und Raumfluchten eine besondere Aura. Die Wege führen auch zu vermeintlich persönlichen Motiven, was Bildtitel wie «I found you / you found me» (2022) oder «Tomorrow Can Wait» (2023) andeuten. Mit Versatzstücken aus der Architektur und Natur sind sie umso offener für unsere eigene Deutung. Auf «Imperfect Harmony» erscheint die Künstlerin unter einem historischen Säulenkapitel. Ist der gewichtige Stein ein Sinnbild für die Kunstfertigkeit oder ist damit auch die Vorstellung einer Last, eine Bürde verbunden, die sie auf den Schultern trägt? «Enigmatic Realm» (2024) deutet buchstäblich auf «Rätsel» hin. Die Künstlerin erscheint darauf lebensgross, wobei Kopf und Füsse nicht im Bild sind und aus ihrem Unterleib eine Taube enfliegt. Eine Szenerie ähnlich einem surrealistisch verrätselten Traumbild.
Entscheidend geprägt hat die Künstlerin die «Entdeckung» von Aluminiumdrahtgeflecht vor einigen Jahren. Weich und biegsam, lässt sie das gewebeartige Material in unterschiedlich farbigem Licht aufschimmern und formt daraus futuristisch amorphe Architekturen oder abstrakte Skulpturen wie auf den Fotografien «Pavillon» (2021) und «Flexible Stucture» (2023). Mit den Geflechten inszeniert sie auch ganze Räume oder sich selbst, kunstvoll lose umhüllt, wie auf den Fotografien «Clemency in The Night» und «untitled» (je 2023). Bei «Presentation a Model of Futuristic Building» (2023) kombiniert sie ihre Malerei in Schwarzweiss mit einem Architekturmodell in Farbe. Die Szenerie geht zurück auf eine frühchristliche Darstellung, worauf Maria und Jesus die Hagia Sophia und die Stadt Konstantinopel in Modellgrösse anerboten werden. Erneut treffen Nahes und Fernes, Historie, Gegenwart und Zukunft aufeinander, die Sibel Kocakaya feinsinnig komponiert in ihrer Kunst aufscheinen lässt.
Marc Munter, 2024