‹Stella› Reto Leibundgut
12.12.08–31.1.09
Seit dem Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit beschäftigt sich Reto Leibundgut ausschliesslich mit gebrauchtem, altem ‹Material›. Die umfangreichen ‹Material(an)-sammlungen› machen denn auch die Essenz seiner Arbeiten aus. Meistens sind es Werkstoffe wie Holz, Leder, Plastik oder Textilien, die er aufwändig verarbeitet und so in einen neuen Kontext stellt. Dabei interessiert ihn vor allem der Aspekt, wie vermeintlich ‹schäbiges› Material in einem liebevollen und sorgfältigen Verarbeitungsprozess eine neue, Staunen erzeugende Präsenz erfährt. Inhaltlich recycliert er nicht nur Material, sondern auch Bilder. Als Vorlagen dienen ihm etwa alte Gobelinstickereien, pornografische Bilder oder Fotografien. Mittels traditionellen, vermeintlich verstaubter Techniken wie Intarsien oder Stickereien werden Inhalte in eine neue Dimension transferiert und gewohnte Sehweisen hinterfragt und irritiert. Immer findet sich ein ausgewogener Mix zwischen Tafelbildern und Installation – und auch die Tafelbilder haben eine in den Raum greifende, körperliche Präsenz.
Für seine aktuelle Ausstellung hat er verschiedene Werkgruppen zusammengeführt, die seine thematischen Schwerpunkte der letzten Jahre gut aufzeigen. Seine Teppichintarsien nehmen einen wichtigen Platz im Oeuvre ein. Auf den ersten Blick handelt es sich um alte, ausgelatschte Orientteppiche; und erst beim zweiten Blick entpuppen sie sich als zusammengestückeltes Machwerk, als verschnipselte, aus Einzelstückchen neu konzipierte Orientbodenbeläge. Ornamente hat der Künstler herausgelöst, Farben zu Farben, und Muster zu Mustern gesetzt oder gar Texte eingefügt, so dass ungewohnte, vermeintlich neue, perfekte Stücke entstanden sind. Seit mehreren Jahren fertigt er auch Gobelin-stickereien; bisher waren es meist Selbstporträts, die er unter dem Titel ‹Roger› zeigte. Die neue, kleinformatige Serie ‹Star› zeigt Frauenporträts, deren Gesichtszüge mit einem Stern verdeckt wurden – sie im voyeuristischen Sinne daher gerade umso mehr zu Stars gemacht werden. Die Kleinplastik ‹Schädel› ist eine Verschmelzung eines Katzen- und eines Vogelschädels aus massivem Silber. Einerseits ist die wunderbar filigrane Arbeit ein Beispiel einer absurden ‹Tiermischung›, andererseits ein bitterböser Kommentar an Damian Hirsts ikonischem Diamantschädel ‹For the Love of God›. Immer schon befasste er sich auch mit grafischen Arbeiten, wobei ihn vor allem die Technik des Abbau-schnitts (verlorene Platte) interessierte. Als Grundlage verwendet er Fotografien, deren Auflösung derart verändert wird, dass sie nur noch aus groben hell-dunkel Kontrasten bestehen. Als Basis für die drei neuen Holzschnitte dienten ihm Abbildungen von Häusern aus amerikanischen Immobilieninseraten. Neu entstanden sind auch Bilder aus Kartonschindeln, deren feine Farbverläufe, entfernt an die Kartonschachteln erinnern, aus denen sie entstanden sind. Sie setzen die älteren Schindelarbeiten fort und schlagen den Bogen zur riesigen Installation ‹Chromatic Itch›, die im Moment im Centre Pas-quArt in Biel zu sehen ist (bis 11.1.09).
Bei allen Arbeiten Reto Leibundguts handelt es sich um Kunst mit einer verwirrenden Direktheit, um Kunst, die sich alter Materialien und Techniken bedient und trotzdem höchst aktuell ist. Er führt uns an der Nase herum und evoziert mit der vermeintlichen Perfektion ein nicht zu leugnendes Unbehagen. Auf der einen Seite ziehen die minutiös gearbeiteten Stücke angenehm an, auf der anderen Seite wird man durch die rohe, grobe Machart oftmals abgestossen.
Bernhard Bischoff, Oktober 2008